Von Pflanzen und Maschinen

Ich brauche all die Nachrichten und Ereignisse gar nicht aufzuzählen, die in der Öffentlichkeit kursieren. Ich brauche mich nur in meinem Umfeld und im persönlichen Leben meiner Mitmenschen umzusehen um festzustellen, daß viele am Ende ihrer Kräfte angekommen sind. Lebendigkeit – wir brauchen Dich !

Etwas geschieht hier – offenbar kollektiv und global – das immer schneller getaktet ist, immer systematischer, einheitlicher, kompromissloser unser Leben strukturiert und bestimmt.

Für Menschen, die ein intensives Seelenleben haben, ist diese Entwicklung wie eine Zerreißprobe. Die zunehmende Steuerung unserer gemeinschaftlichen Prozesse durch Maschinen steht in starkem Widerspruch zum menschlichen Sein, das neben Funktion eben auch Schweifen, Werden, Freude, Vielfalt und Wandlung braucht.
Maschinen brauchen Struktur, Einheitlichkeit, feste Regeln und wiederkehrende Abläufe. Ohne das können sie nicht funktionieren. Für uns Menschen ist das wesensfremd – auch wenn unsere Sehnsucht nach Sicherheit uns in diese Richtung verführt hat. Das Menschliche ergibt sich ja erst aus dem empfundenen Wahrnehmen, aus dem kreativen Gestalten und aus dem lebendigen, erneuernden Wachstum. Eben aus dem, was wir „Seele“ nennen. Es fühlt sich für mich derzeit so an, als ob der Raum für eben dieses Seelische, für das, was uns zu Menschen macht, immer enger wird.

Und doch habe ich die Hoffnung, daß immer mehr Menschen erkennen, wo sie mit ihrem Tun dieses Maschinenhafte fördern – und daß sie den Mut und die Einsicht finden, sich mit allen Konsequenzen dem Menschlichen, dem Seelenhaften wieder zuzuwenden.

Ich bin heilfroh, daß ich in den vergangenen sieben Jahren hier auf Aditi einen weitgehend maschinenfreien Raum geschaffen habe, in dem das Wirken der Pflanzen im Vordergrund steht. Das Lärmen und Hacken und Kontrollieren der Maschinen und ihrer menschlichen Bediener ist zwar vernehmbar – doch hier auf diesem Berg stehen die grünen Wesen, die blühen und wachsen und sich geben, die Raum sind und Raum schaffen, im Zentrum.
Nicht alle Menschen haben die Möglichkeit, so viel von dieser Seelenenergie um sich zu sammeln, leben in hämmernden Städten, arbeiten in neonbeleuchteten Büros, dienen noch immer der Maschine. Ich wünsche mir so sehr, daß viele Menschen einen Weg hinaus finden, ihr Wirken für Struktur, Kontrolle und Funktion durchschauen und beenden.

Und ja: All dies ist verwoben mit existentiellen Fragen und Ängsten, mit Gewohnheiten und Verpflichtungen. Doch wenn die Seele nicht mehr atmen kann, stirbt der Mensch.

Lebendigkeit und Kontrolle, Wachstum und Sicherheit, Empfinden und Funktionieren – zwischen diesen Polen sind wir Menschen verortet. Der eine Pol entspringt unserem Bedürfnis nach Sicherheit – strukturierend, kontrollierend, gleichmachend. Hierfür haben wir die Welt letztlich den Maschinen übergeben. Der andere Pol entspringt unserer Seele – einzigartig, atmend, empfindend, wandelnd.
Auf dieser Seite stehen auch die Pflanzen: sie gehen in Resonanz mit uns, sprechen Körper (Struktur) und Seele (Energie) gelichermaßen an – mit Lebendigkeit.

Die Pflanzen geben uns Raum und Unterstützung, uns dieser lebenspendenen Qualität zuzuwenden. Die Wälder beschenken uns mit den Klängen des Windes und mit wohltuendem Schatten im grellen Licht der Welt. Die Wiesen und Auen laden uns ein, in die Weite zu schweifen, Grenzen und Strukturen hinter uns zu lassen. Und unsere kostbaren, traditionellen Heilkräuter setzen Impulse in Geist und Körper, die uns helfen, Wege mit Herz zu finden und zu gehen.

Schon oft habe ich Euch auf die besondere Eigenschaft des Sonnenhuts hingewiesen. Sein unvergleichliches Aroma und seine feinstofflichen Frequenzen machen uns wach und klar über die Herzebene, verdeutlichen den Eigenraum, ohne uns zu verschließen. Für mich ist es derzeit selbstverständlich, jedes Glas Wasser, das ich trinke, mit einigen Sprühern seiner Essenz zu aromatisieren.

Im Unterschied zu den Maschinen strukturieren die Pflanzen nicht, sondern sie wachsen in die gegebenen Räume hinein. Und indem sie das auf sehr vielschichtige, mit unendlich vielen anderen Wesen verwobene Art und Weise tun, füllen sie die gegebenen Räume mit Lebendigkeit.

Das genau ist der Gegenpol zu der mechanisierten Welle, die uns gerade überrollt. Statt uns immer noch weiter zu disziplinieren und in die Strukturen zu zwängen, statt immer schneller zu rennen um all die Bedingungen und Regeln zu bewältigen, zeigen die Pflanzen uns, wie wir das Lebendige atmen und sein können, wie wir das Seelische bewahren und damit das Menschsein.

Sieh Dir besonders die krautigen, eher unscheinbaren Pflanzen wie Melisse, Krause Minze, Schafgarbe und Baldrian (Holz- und Wasserelement) an: sie stellen nichts dar, sie sind weich und sanft – und doch tragen sie Düfte und Aromen, die beleben, die Raum geben und zugleich besänftigen. Halte Dich an diese Qualitäten, wenn Du spürst, daß die (An)Spannung unerträglich wird, wenn Dir das Spüren abhanden kommt und Du nicht mehr „abschalten“ kannst.

Und wenn die Schwere Dich erfasst, wenn alles zu viel ist und Du im übertragenen Sinne „kein Licht mehr siehst“ – dann mag das zitronig-herbe Aroma des Ysop und seine erweiternde, übergeordnete Perspektive Dich in andere, freiere Gefilde führen.

Vielleicht haben wir die Möglichkeit, Maschinen-Menschen zu sein. Vielleicht hatte Steiner mit seiner Ankündigung Ahrimans für dieses Zeitalter recht und wir müssen durch eine Entwicklungsphase der reinen Struktur. Für mich als Kräuterfrau, als Seelengefährtin der Pflanzenwesen ist das nicht vorstellbar. Und so werde ich für unsere wandelbare, empfindende, vielgestaltige und unberechenbare Seele einstehen, so lange ich kann.

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