Erdenhüter
Auszug aus dem Seminarskript „Erdenhüter-Kreis“
Das Land, das wir hüten, hat eigene Strukturen, gleich einem Körperbau und seinen Organstrukturen. Wenn wir liebend und in Einklang mit dem Land wirken wollen, gilt es, diese Strukturen zu erkennen und zu fördern.
Es macht keinen Sinn – und führt sogar zu Schaden – in einem Bereich, der Stille und Licht und Öffnung hält, das alltägliche Gemüse anzubauen. So viel Eingriff, so viel Assimilationsdynamik und Körperlichkeit nehmen dem Ort das Licht und die Durchlässigkeit. Das wirkt sich nicht nur auf das Gemüse aus und auf die „Beschattung“ dieses speziellen Platzes – sondern auf den ganzen Körper des Landes, das Du hütest.
So ist es von großer Wichtigkeit, die Strukturen und Qualitäten des Ortes zu erkunden, zu durchspüren und auch die Zusammenhänge verschiedener Regionen auf dem Land zu erkennen.
So können wir für unsere Arbeit mit dem Land die gegebenen Energien und Speicher am besten und zum Wohle nutzen.
„Nutzen“ ist ohnehin ein Begriff, der nicht so recht zum Erdenhüten passt.
Denn allzu nah liegt das moderne Verständnis, alles und jedes bis zum Anschlag auszuschöpfen nach dem eigenen Willen. Darum kann es aber nicht gehen in einer Welt, in der alles mit allem verbunden ist und Fülle nur dann entsteht, wenn alles fließen darf und geteilt wird.
Einer Erdenhüterin geht es also niemals um den maximalen Ertrag oder um die Gewinnung einer ganz bestimmten Frucht…
Die Herangehensweise ist eher, aus der eigenen inneren Fülle sich dem Land zuzuwenden, es zu pflegen, unter den Bewohnern für Harmonie zu sorgen, das vielfältige Leben und Weben anzuregen.
Und naturgemäß beschenkt uns das Land, beschenken uns die Wesen am Ort dann mit ebensolcher Fülle und Schönheit.
Vielleicht entdecken wir darüber erst, wie wohlschmeckend wilde Pflaumen sind oder wie heilsam vorher nicht bekannte Kräuter für uns wirken.
Ich folge den „Sektionen“ oder „Nutzzonen“, die in den gängigen Permakulturlehren benannt werden, also nicht. Denn sie gehen von einer ganz und gar menschzentrierten, nutzenmaximierenden Sicht auf das Land aus.
Das ist etwas anderes, als Erdenhüter zu sein.
Als Erdenhüter finden wir Land mit seinen über Jahrtausende entwickelnden Eigenarten vor. Land, das seit ewigen Zeiten mit bestimmten Witterungsverhältnissen, bestimmten Stoffgemengen und Bevölkerungen atmet – und sich darauf freut, von uns gesehen, gefördert und belebt zu werden.
Selbst wenn wir vollkommen verwildertes Land vorfinden – oder von industriellen Einflüssen gar stark deformierte Areale – so bedarf es nur weniger, inniger Aufenthalte an den vielen Plätzen, um die natürlichen Strukturen zu erkennen.
Hier zeigen sich Flecken, die natürlicher Weise „geöffnet“ sind, die in der starken bis mäßigen Sonneneinstrahlung und in einer guten Wasserversorgung stehen. Die aufgrund geologischer Gegebenheiten über die Jahrzehnte nährstoffreichen Boden aufgebaut haben und von umliegenden Gehölzen stetig weiterversorgt werden. DAS ist der Platz, an dem wir Gemüse und Getreide anbauen können – gerade in dem Maß, wie viele Hände auf dem Land wirken.
Es ist völlig unerheblich (für das Wohl des Landes und die Geschenke, die es uns bringt) wie weit dieser Ort von unserer Wohnstätte entfernt ist. Freilich: Es macht einen Unterschied in den Wegen, in der Arbeit für uns. Aber arbeiten wir denn mit dem Land, um möglichst wenig Arbeit zu haben ?
Wenn das so ist, kaufen wir unser Gemüse am besten beim Discounter …
An anderen Orten werden sich Schattenbereiche abzeichnen, viele Schichten von Altholz einen besonderen Boden bilden, Waldpflanzen und -tiere unterwegs sein. Wenn Du Pilze magst, wirst Du sie hier finden – und kannst sie auch gerne vermehren. Das Land wird sie fördern und Dich reich beschenken.
Und findest Du einen Trockenbereich mit fest verwachsener Kraut- und Grasnarbe, eine Fläche, in der das Wasser sich nicht lange hält doch ein Saum von Bäumen in einiger Entfernung einen eigenen Raum bildet, so ist dies der Ort, an dem das Land Dich einlädt, auszuruhen. Den wilden Salbei und Thymian, die Margeriten, das Knabenkraut zu bewundern und Schwärme von Schmetterlingen und Rudel von Eidechsen. Wenn Du in dieser Teilstruktur des Landes verweilst, lauscht, spürst, bewunderst, wirst Du bald zu spielen beginnen. Steinlreise legen, Benjeshecken aufschichten, Graskränze flechten. Glaube nicht, dass dies „unnütz“ sei. Das Land liebt es, vernommen und berührt zu werden – beim Ernten im Obstgarten ebenso wie auf der blumenreichen Trockenwiese.
Hier beginnt das wirkliche verweben zwischen Land und Mensch. Hier erfährt der Erdenhüter ganz unmittelbar, dass auch das Land ihn hütet. Das die liebevolle Hinwendung, die wir dem Land geben, direkt durch uns hindurch fließt – uns nährt, uns hält, uns inspiriert.
Ähnliche Betrachtung ist bei der Gestaltung von Kulturflächen hilfreich: Der industriell geprägte Selbstversorger-Gärtner legt ganz gerade, mit dem Zollstock vermessene Beete mit gleichmäßiger Bepflanzung an, achtet auf Arbeitserleichterung und vielleicht noch auf Fruchtfolgen.
Ein Erdenhüter sieht im Wildbestand, welche Pflanzen wo wachsen. Nimmt diese Information auf. Hat die Pflanzengemeinschaften erforscht und weiß intuitiv um förderliche und hemmende Nachbarschaften. Und diese sind übrigens nicht allgemein gültig und beliebig übertragbar. Auch sie stehen in Wechselwirkung mit Bodenbeschaffenheit, Mikroökologie, Geologie usw., die an diesem Ort sich natürlich bilden.
Wenn wir Flecken finden, an denen Pflanzen wachsen, die wir stärker kultivieren wollen, dann sind diese Flecken niemals rechtwinklig. Vielmehr schmiegen sie sich in gegebenen Mulden oder verlaufen in die Richtung, in die unterirdisch das Wasser sich bewegt. Dies gilt es zu entdecken, zu erspüren und zu beobachten. So entstehen natürliche Beetformen.
Das können wir noch vertiefen, wenn wir uns das Wissen um das Sonnenpflügen vergegenwärtigen, das ein ganz altes, leider vergessenes bäuerliches Wissen ist. Victor Schauberger nahm es in seinen Implosionen / Naturrnahe Landwirtschaft auf und schreibt:
„Unter dem Sonnenpflügen hat man eine möglichst wellenlinige und normal zum täglichen Sonnengang verlaufende Furchenziehung zu verstehen. So wird einerseits eine günstige >Einstrahlung der befruchtenden Sonnenstrahlen im Normalwinkel erreicht. Andererseits erhält man ein ständig wechselndes Schattenbild und eine Verhinderung direkt einfallender Sonneneinstrahlung. Das Ergebnis ist eine diffuse Dauerbestrahlung. Eine günstige Normalwindrichtung erreicht eine gute Wurzelreizung und beschleunigt das Wachstum. Der Ertragsunterschied gegenüber winkelunrichtiger Pflugfurchenziehung ist geradezu auffallend.“
Diesen Effekt durfte ich sowohl bei der unglaublichen Artischockenernte auf Aditi feiern wie auch bei der ersten Sammlung unseres eigenen Saatguts. Der Saatgutgarten ist in Spiralen angelegt, auf dem höchsten Punkt des Berges.
Und bei der Eingrenzung der Kulturflächen schätze ich die Praxis der Permakultivisten sehr, sogenannte „Swales“ anzulegen, Rinnen also, die die Kulturfläche umgeben und deren Auswurf mit Gehölzen bepflanzt wird. Die Gehölzwurzeln reichen in der Regel viel tiefer in den Boden, als die Wurzeln unserer Kulturpflanzen und bilden somit unterirdisch eine natürliche Barriere: Gegenüber Gewächsen, die von außen auf die Kulturfläche zu drängen, aber auch gegenüber Bewegungsläufen des lebenspendenden Wassers, das durch die Gehölzwurzeln an die Kulturfläche herangezogen und dort länger gehalten wird. So kommt es, dass Kulturflächen mit etablierten Swales nicht oder kaum gewässert und seltener gejätet werden müssen. Dieser Effekt wird verstärkt durch die Beschattung und Verdunstung, die die Swale-Gehölze oberirdisch über der Kulturfläche einbringen. Hier entsteht ein natürlicher Wasserkreislauf in einem Mikro-Ökotop, das uns dabei unterstützt, eine besondere Fläche für unsere eigenen Bedürfnisse zu nutzen.
Und hier kehrt das Wort „Nutzen“ einmal mehr zurück.
Natürliche, friedvolle und harmonische Gemeinschaften enthalten in sich das wechselseitige Fördern, den „Nutzen“ für die Einzelnen. Dieser individuelle Nutzen entsteht nicht dadurch, dass sich ein einzelnes besonders einsetzt, so viel wie möglich für sich selbst herausnimmt und dabei so wenig wie möglich hineingibt.
Ein natürliches Ökosystem erhält sich und seine Einzelteile dadurch, das ein jedes nach seiner Art atmet, gedeiht, vergeht im Angesicht der gegenwärtigen Verhältnisse. Im Sommer wird nicht gesammelt für den Winter. Die Vorbereitung auf den Winter setzt sanft und Tag für Tag ein, im Zusammenklang. An sich gibt es „den Winter“ – oder irgendeine andere Situation, auf den menschliche Angst und Vorsorge sich richten würde – in der Naturwelt so nicht. Es gibt einen Tag, der kühler ist, als der vorangegangene. Es gibt einen Tag, an dem die Sonne weniger scheint, als am Vortag. Und dann noch einen, mit noch weniger Licht. Die Antwort ist sanft und der kleinen Veränderung angemessen. Und vor allem ist sie in Einklang und im Wechselspiel mit den Mitwesen. So vergeht das eine und bildet Boden für das nächste. So verschalt sich das andere und verlangsamt den Rhythmus, in den es eingebunden ist.
So halten wir Erdenhüter es auch: Wir pulsieren und atmen mit der expansiven Frühlingskraft. Wir schieben Fäulnis beiseite und belichten das Feld. Wir gebieten den Kräftigen Einhalt mit der Hacke und päppeln die Langsameren. Wir lassen den Kompost den Rehen und Hasen – und schützen junge Bäume mit Altholz. Und dann, wenn der heiße Sommer kommt, sammeln wir die Früchte – während wir Wasser zu den durstenden Gehölzen tragen. Wir schneiden das dürre Gras und bedecken die darbenden offenen Erdflächen mit Mulch. Wir ziehen schattenspendende Bäume und Kletterpflanzen über die zarten Kräuter. Und wenn es kälter wird und alles sich verlangsamt und zurückzieht, decken wir die empfindlichen Keimknoten zu, schichten das Holz zum Windschutz, öffnen die Baumscheiben, damit die Mäuse sich nicht an den Obstbäumen ihr Winterrevier suchen.
Es ist ein rhythmisches Weben, dessen wir teilhaftig werden können, wenn wir nicht als Herrscher sondern als Hüter kommen.
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