Die Erdengemeinschaft – Vom Leben und vom Sterben

Erdenhüter

Bei meinem täglichen Rundgang über Aditi fand ich eines der Szechuan-Bäumchen, die ich frisch gepflanzt habe, völlig zerrupft, womöglich nicht mehr heilbar. Ein junger Bock hatte sein sprießendes und juckendes Gehörn daran gerieben und ich hatte vergessen, eine Metallhose um den Baum zu spannen.

Ein Stück weiter finde ich die kahlen Stümpfe meiner Kohlstecklinge, daneben eine großzügiges Nest von Hasenkötteln. Ich hatte vergessen, die Stängel der Wasserminze um die Triebe zu legen, die sie in ihrer zarten Phase vor Fraß schützen.
Den Spargel hatte ich zum Glück abgedeckt, nachdem ich die ersten abgebissenen Sprossen sah – er gedeiht nun prächtig.

All dies ist unsere Gemeinschaft auf Aditi. Es würde mir nicht im Traum einfallen, an die Tötung unserer Mitbewohner zu denken. Und doch gibt es regelmäßig Streit zwischen Bauern und Jägern um Abschusspläne und Wildschäden in den Monokulturen.

Dabei ist so leicht erkennbar, dass – wie immer – genug für alle da ist und – wenn Frieden gehalten wird – auch alles wunderbar gedeiht. Wenn sie nicht gerade „fegen“ (das Reiben der Hornknospen) dann ist erkennbar, dass die Rehe nur die Seitentriebe der jungen Bäume knabbern. Damit nehmen sie mir die nicht bewältigbare Arbeit ab, all die jung gepflanzten Bäume entsprechend zu beschneiden, damit der Haupttrieb sich stark entwickelt. Freilich ist es meine Aufgabe als Gärtnerin, diesen Haupttrieb vor Verbiss zu schützen. Wie auch, den Hasen deutlich zu machen, dass beim Spargel mein Territorium erreicht ist und daneben reichlich frisches Grün wächst…
Es würde mir nicht in den Sinn kommen, all diese Mitwesen aus Aditis Gärten zu vertreiben. Und dazu muss ich mir nicht den biologisch darlegbaren „Nutzen“ vor Augen führen, den sie durch ihr Sein und Wirken für die Gemeinschaft hier haben. Sie gehören ganz natürlich dazu, das ist für mich spürbar, greifbar…
Was für eine Freude, abends die Kaninchenfamile vor meinem Fenster zu sehen, die in den Benjeshecken wohnt – und ja: sie mümmeln die Reste meines Kohls, den ich für die stehengelassen habe. Oder die Rotte an Rehdamen, die in festen Bahnen Aditi durchstreift, hie und da ein wenig Rosenknospen knabbert und nachts aufschreckt, wenn ich spät nach Hause komme. Der milde Winter hat so viele Mäuse hervorgebracht, dass die Wiese durchlöchert ist von Mausbauten, wie ein Schweizer Käse. Und so sammeln sich die Milane und Bussarde hier, finden fettes Mahl und erfreuen uns mit ihrer Erhabenheit. Ganz selten begegnet mir auch die Eule in der Dämmerung, die in den unberührten Zonen von Aditi ihr Zuhause und reichlich Futter gefunden hat. Der Fuchs tut sein übriges und ist so zutraulich, dass er nachts mich direkt durch das Fenster ansieht….

Du sollst nicht töten

Aus den unterschiedlichsten Gründen ist der Veganismus seit einiger Zeit in Mode. Gesundheit aber auch Respekt vor unseren Mitwesen sind wesentliche Gründe.
Und dieser Respekt ist gerade Diskussionsthema zwischen mir und meiner Erdenhüterschwester, die ihre liebevoll gehaltenen Ziegen hat decken lassen, die Lämmer mit Hingabe aufgezogen und jetzt, zu Ostern, sämtlich hat schlachten lassen.
Mir gefriert das Herz, wenn  ich dies bezeuge.

Wie kann es sein, dass wir unsere Mitwesen nicht nur aus der gemeinsamen Flur vertreiben, sie regelrecht ausrotten, und dann in Ställen gefangen halten, vermehren, ausbeuten und töten ?
Nein, das ist kein natürlicher Kreislauf – auch wenn es seit Urzeiten Hirtenvölker und Fleischkonsum unter den Menschen gibt. Wir sind nicht in Hungerzeiten – und selbst dann könnten wenigstens buddhistisch, muslemisch, hinduistisch und christlich geprägten Menschen in ihren Weisheitsbüchern nachlesen: Du sollst nicht töten !

Dieses Gebot richtet sich an die Menschen und auf alle Wesen. Denn da steht nicht: „Du sollst keine Menschen töten“. Da steht „Du sollst nicht töten“.
Das Töten ist eineindeutig eine Geste gegen das Leben. Noch dazu bin ich der Überzeugung, dass sie nur dem zusteht, der Leben zu schöpfen vermag. Wir Menschen vermögen das NICHT.
Und deswegen steht in so vielen Weisheitsbüchern: Du sollst nicht töten.

Das galt selbstverständlich auch für meine jahrzehntelange Lebensgefährtin Xina, als sie todkrank wurde. Ich war fassungslos, als die Tierärztin nicht bereits beim ersten Mal ihres Tötungsanliegens mein „Ich töte nicht!“ verstand und mich zwei weitere Male mit abartigen Drohbildern zu nötigen versuchte, meine geliebte Katze einschläfern zu lassen.
Wie fern ist ein Mensch vom Leben, wenn er das Sterben nicht akzeptiert und heiligt ? Gerade der Sterbeprozess – bei allen Erdenwesen – ist ein magischer und heiliger Vorgang, der der Vervollkommnung der Seele in dieser Lebensrunde dient. Ihn zu stören oder gar abzubrechen verhindert Erlösung und Frieden.
Und ja: Es ist schwer, dem Todeskampf des Körpers und des Geistes eines geliebten Wesens beizuwohnen. Wir assoziieren Schmerz und manchmal auch Ekel – und das Töten dient ausschließlich dazu, unseren eigenen Kampf mit dem Abschied zu verkürzen. Was wir damit anrichten, ist vielen Menschen gar nicht bewusst. Wer hierzu keine Vorstellung hat, findet unzählig viele Bücher über den Sterbevorgang – von modernen Ärzten bis zu mongolischen Schamanen. Übrigens auch zur Endorphinausschüttung, während der austrocknende Körper im Todeskampf ächzt… Am besten für unseren westlichen Geist aufbereitet ist wohl das Tibetanische Totenbuch. Es sollte Pflichtlektüre für jeden sein, der Tötungsmittel in Händen halten darf.

Frieden ist Integration

Es wird so viel gesprochen über die Sehnsucht nach und die Bedingungen von Frieden.
Frieden ist eine ganz natürliche Geistesverfassung des gesunden Menschen.

Doch welcher Mensch kann heute schon unterlassen, zu rechten, zu belehren, zu übervorteilen, zu drohen und gar anzugreifen ?

Auch ich hier mit meinen Empfindungen komme hart an die Grenzen der Belehrung, dessen bin ich mir bewusst. Doch bitte verstehe diese Zeilen als Aufschrei meiner Seele, als Äußerung des Schmerzes, angesichts der Rohheit und Zerstörung, die die Menschheit hervorbringt.

Ich wünsche uns Frieden.
Und ich glaube, dafür brauchen wir so viel Herzensgröße, dass wir erkennen können, was unsere Mitmenschen dazu bringt, zu lügen, zu stehlen, zu misshandeln und zu töten.
Ich wünsche uns so viel Geisteskraft, dass wir in unserem eigenen Leben diese Bewegungen erkennen und es uns gelingt wahrzunehmen, dass wir sicher und geliebt sind. Von allen unseren Mitwesen. Dass es keinen – gar keinen – Grund gibt, sie zu verdrängen, auszubeuten, geringzuschätzen. Dass wir Menschen selbst das einzige „Sicherheitsrisiko“ für den Frieden auf Erden sind.

Und so kommt es doch darauf an, dass wir Menschen lernen, eine behütende und Vertrauen begründende Haltung gerade unter uns Menschen einzunehmen. Dass wir mit unseren Schmerzen in den Kreis treten und sie teilen können, statt sie in neue Aggression zu verwandeln. Dass wir einander zuhören und bestärken und die Waffen auf allen Ebenen niederlegen.

Dass ist so schwer. Gerade wenn wir meinen, ganz offensichtlichem Unrecht gegenüberzustehen.

Ich selbst habe eine längere Phase hinter mir, in der mir „krasse Dinge“ durch andere Menschen widerfahren sind. Und ich habe diese Phase dafür genutzt, zu integrieren.
Mich nicht zu verteidigen. Nicht mein Recht einzufordern. Nicht mit Gegenschlägen zu drohen. Stattdessen einfach nur zu erkennen, was Menschen dazu treibt, anderen bewusst oder unbewusst Schaden zuzufügen. Und aus diesem Erkennen selbst eine Haltung einzunehmen, die es meinem Gegenüber ermöglicht, in den Frieden zu gehen.
Vielleicht auch in die Großherzigkeit. Oder gar Einsicht. Oder doch wenigstens einen Austausch, der wechselseitige Integration ermöglicht.

Erdenhüter sein

Ich war in meinem Leben schon Naturwissenschaftlerin, Köchin, Therapeutin, Händlerin, Unternehmensgründerin, Finanzanalystin, Politikberaterin, Coach, Autorin … und so viel mehr. Mir ist nach diesen reichen Jahrzehnten nichts Wertvolleres eingefallen, als meine ganze Kraft Mutter Natur, unserer Erde und ihren Wesen zu widmen. Hier habe ich die bestmögliche Chance, mein liebendes Wesen walten zu lassen und so wenig Schaden wie möglich – auch mittelbar – zu verursachen.

Deswegen gibt es auf Aditi keine (großen) Maschinen. Keine Nutztiere. Keine Chemikalien. Und Menschen in einem verträglichen, quantitativen Verhältnis zu den anderen Bewohnern.
Deswegen baue ich vor allem mehrjährige Pflanzen an, damit ich nicht jedes Jahr aufs Neue die Erde aufreißen, Millionen von Lebewesen töten und die natürliche Pflanzengemeinschaft stören muss.
Deswegen habe ich gar kein Interesse, Wild Natural Spirit immer noch größer und größer zu machen.
Die Spirits sind einzigartig – und die Menschen, die sie finden und einsetzen, auch.
Die harte körperliche Arbeit hält meinen Geist und meinen Körper gesund. Das Saatgut, die Pflanzen, das Gemüse und vor allem die Kräuteressenzen, die ich hinaus in die Welt geben kann, machen das Paradies auf Erden auch für Menschen erlebbar, die nicht auf dem Land und nicht in der Nähe von Aditi leben.

Die Kurse, die ich halte, haben landwirtschaftliche oder heilkundliche Inhalte. Das Wichtigste ist mir jedoch, den Menschen, die hierher kommen, das Wahrnehmen wieder beizubringen. Zu sehen, wie unsere Mitwesen kompromisslos sie selbst sind, ohne einander zu schaden. Im Gegenteil: Wie harmonisch und wechselseitig das Zusammenwirken ist zwischen dem dominanten Mais, der der Bohne Halt zum Ranken gibt, die an ihren Wurzeln Knöllchenbakterien beherbergt, die den für die Gemüsepflanzen nötigen Stickstoff aus der Luft verfügbar machen, der den Kürbis reifen läßt, am Fuße des Maises, dem er den Boden mit seinen großen runden Blättern beschattet und feucht hält ….

Der Friede, der hier ist, ist für jeden Menschen spürbar, der auf den Berg kommt. Weil alle da sind. Weil nichts verdrängt, getötet oder missachtet wird. Sondern weil ein vollständiger, ein heiler Raum uns empfängt, der uns spüren läßt, wie sehr wir geliebt werden.

***

Hier noch einige Empfehlungen, um den Frieden zu sehen, zu spüren, zu schaffen, der möglich ist:

Buch „Süßgras flechten“ von Robin Wall Kimmerer

Film „Der grüne Planet – Besuch aus dem All“ (orig: La Belle Verte) von Coline Serreau

Früherer Artikel zum Erdenhüten „Erdenhüter und Sonnengott