Morgendämmerung
Ich komme gerade aus den kühlen Nebeln des Februarmorgens. Als der Mond noch hoch stand am Westhimmel, war ich hinaus gegangen, hinein in Aditi, mein geliebtes Land.
Mehr als vier Jahre ist es nun her, daß ich alles was ich hatte und war hier hinein gegeben habe. Ich verschmolz geradezu mit diesem kleinen Berg an der bayerisch-thüringischen Grenze und als Eins wachsen wir empor.
Leise flüsterten mir die Eschen vorhin zu, umfingen mich mit ihrer liebevollen Präsenz, die ersten Amseln regten sich, Hasen raschelten im Gebüsch. Der Nebel löste sich in millionenfachen Tautröpfchen, den er über die Wiese streute, der Atem des Morgens und des nahenden Frühlings brachte uns in den Tag.
Als ich mich so genährt an der Feuerstelle niederließ und der Blick weit über das hügelige Land schweifte, kamen mir viele Bilder in den Sinn.
Das Juwel der Einfachheit
Nie hätte ich mir als Akademikerin und durchtrainiertes Leistungstier träumen lassen, daß ein politisch wirksames und ökonomisch tragfähiges Leben so viel mit Staub, Schweiß und schwerem Handwerkszeug zu tun haben kann.
Freilich hatte ich in den Zeiten, in denen ich politische Einrichtungen und Unternehmen beriet, immer betont, wie zentral die – seelische ! – Intention eines wie auch immer gearteten Vorhabens ist. Nicht Ziele, die uns nach konditionierten Abziehbildern nach vorne treiben, hinaus aus der unbefriedigenden Gegenwart, hinein in einen zukünftigen Ergebnisstatus, sind die Bedingung für ein gelungenes Unternehmen. Und schon gar nicht Angst – vor irgendwelchen zukünftigen Entwicklungen.
Vielmehr ist es die Liebe, die wir jetzt für das, was ist und was wir gerade tun, aufbringen können, die darüber bestimmt, ob wir jetzt in Frieden und Fülle leben – und dies ganz natürlich auch fortsetzen werden.
Und es ist für ein mit Sinnen, Empfindungen und Ideen ausgestattetes Menschenwesen verdammt schwer, vor einem Computer oder in einer täglichen, auf Arbeitsteilung basierenden Routine diese befriedigende Präsenz zu erfahren. Da helfen weder ein dreizehntes Monatsgehalt noch gesellschaftliche Anerkennung noch wertvolle Konsumgüter.
Es ist das tätige Handanlegen, ja zuweilen auch: Schwitzen. Es ist der sinnlich-physische Kontakt zu unseren Ideen und das Erleben der Gestaltgebung. Es ist das bewußte Einatmen frostklarer Luft, das Gefühl von feuchter Erde zwischen den Fingern, der Gesang der Vögel bei der Arbeit und der Duft von frisch gesenstem Gras, der ein Menschenherz erblühen läßt.
Derzeit, wo so viele Menschen sich fragen, wie es weitergehen wird mit unserer Gesellschaft und mit ihrem ganz persönlichen Leben, frage ich mich, wie viele Menschen in Betracht ziehen, daß der Verlust ihres monotonen, abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ein echter Gewinn sein könnte. Wie viele Menschen können erkennen, daß die Reduktion ihres Einkommens Antrieb sein könnte für ein Leben mit weniger Konsum, weniger Bequemlichkeit, weniger Sicherheit – und daher auch mit mehr Kreativität, mehr körperlicher Fitness und mehr Selbstausdruck und geistigem Wachstum?Das Juwel der Einfachheit blieb den meisten Menschen der westlichen Hemisphäre bisher verborgen. Zu stark ist die bereits frühkindliche Konditionierung auf Konformität, Sicherheit, Kontrolle und Abgrenzung.
Ich blicke hinüber auf die zwei Hektar Ackerfläche, die gerade eben neuer Teil von Aditi geworden sind. Unglaublich viel Fläche – unglaublich viel Arbeit.
Ich werde diesen werdenden Raum und die viele, harte, schöne Arbeit verfügbar machen. Für Menschen, die sich das Juwel der Einfachheit wieder erschließen wollen.
Geborgen in der Fülle und Stille Aditis.
Die Selbstheilungskräfte der Verbundenheit
Ich verlasse den Feuerplatz und gehe hinüber in den Kräutergarten.
Still liegen sie da, die Permakultur-Beete mit Ysop und Salbei, Sonnenhut und all den Kostbarkeiten, die uns die einheimische Natur zu Nahrung und Heilung zur Verfügung stellt.
Nie werde ich vergessen, wie ich mit den ersten hundert Hundsrosen die Mikroräume für diese Kräutermanufaktur schuf. Es war das extreme Dürrejahr 2018, Träume hatten mich aufgefordert, den traditionellen Heilkräutern Raum und Hinwendung zu geben. Mitten im Herzen Aditis. Von Hand – ohne Maschinen, ohne Dünger, Pflanzenschutz und Kapital.
Stattdessen mit unendlicher Freude an den abertausend keimenden Kräutlein, ungezählten Stunden auf den Knien beim Setzen der jungen Pflanzen, berauschenden Sonnenuntergängen beim Gießen des erwachenden Gartens.
Es war unglaublich mühsam. Und es war unglaublich heilsam: Mein heißgelaufener Intellekt beruhigte sich, mein von städtischer Unruhe ausgelaugter Körper regenerierte sich, mein Leben war in eine neue, tiefe Verbundenheit gemündet.
Binnen eines Jahres – ein Jahr, in dem die üblichen Früchte auf den Äckern verdorrten und die deutschen Wälder den größten Teil ihres Fichtenbestandes verloren – heilte (s)ich ein verwahrlostes, verwachsenes Stück Wiese und brachte einen blühenden Garten strahlender Heilkräuter hervor.
Doch damit nicht genug: im Juli desselben Jahres überraschte ich mich selbst mit dem Kauf einer riesigen, altertümlichen Kupferdestille. Ich weiß noch, wie wir mit einem viel zu kleinen Campingkocher stundenlang darauf warteten, daß die 100 Liter Wasser im Destillenkessel endlich siedeten. Doch bald schon wurde es zum heiligen Akt, zum vollkommenen Fest der Ernte, meine handgesammelten Kräuter zur Destille zu bringen, das Feuer zu entfachen und dem alchemistischen Prozeß beizuwohnen, der auf diese archaische Art und Weise die Seele, die Heilkraft der Pflanze, zu ihrer höchsten Potenz bringt.
Unbedarft und ohne großes Kalkül – jedoch unter fast unerträglicher Aufsicht von insgesamt neun Behörden – füllte ich die so gewonnenen, kostbaren Destillate in braune Fläschchen ab und brachte sie in die Welt. Was seither an Rückmeldungen und Erfahrungen mit diesen Destillaten zu mir zurück gelangt, ist atemberaubend. Würde ich selbst von solcherlei Heilerfolgen, Transformationserfahrungen und wunderbaren Begebenheiten schreiben, wie es die immer zahlreicher werdenden Anwender/innen der „Spirits“ tun, würde ich wohl nicht nur die mächtige Pharmaindustrie und die geschäftstüchtige Branche der Heilmittelhändler auf mich hetzen, sondern wohl auch erhebliche Schwierigkeiten mit den Behörden bekommen, die die Destillate strengstens nur zum „Aromatisieren von Speisen und Getränken“ zugelassen haben.
Ich halte es hier, wie mit Masken, Ausgangs- und Reiseverboten: Ich akzeptiere die demokratisch gewonnene Ordnung – und denke und handle verbunden eigenständig.
Durch viele Reisen in Südostasien weiß ich zu schätzen, daß wir hier in Mitteleuropa über ein einigermaßen funktionierendes System der Gewaltentrennung und der Rechtsstaatlichkeit verfügen. Ich steckte selbst tief genug in wirtschaftspolitischen Zusammenhängen, um zu wissen, daß man auch bei uns mit Geld und Kontakten demokratische Vereinbarungen umgehen kann. Und doch ist die staatliche Situation, auf die jede/r Bürger/in zurückgreifen kann, kostbar und das Ergebnis eines jahrhundertelangen Bemühens kluger und mutiger Menschen.
Ohne Zweifel ist der Staatsapparat über ein gesundes Maß hinaus gewuchert und es steht eine Bereinigung an. Ebenso, wie der Großteil der Bevölkerung in ein konsumistisches Koma gefallen ist und die Grundvoraussetzungen für gemeinschaftliche Mitbestimmung nicht mehr zu erfüllen in der Lage ist. Auch hier bedarf es einer Auffrischung.
Doch ich werde meine kostbare und endliche Lebenszeit nicht damit verschwenden, mit überforderten Beamten zu diskutieren, mich gegen Strafen wegen Lappalien zu wehren oder gar Berufspolitiker, die ich gar nicht persönlich kenne, ihrer Arbeit wegen anzuklagen. Vielmehr setze ich dieses eine kleine, kostbare Leben dafür ein, das Beste und Schönste, das mir innewohnt, zu entwickeln und für alle, denen es dienen kann, verfügbar zu machen.
Meine Erfahrungen, Gedanken und Einsichten kommuniziere ich nicht nur und mache sie „diskutierbar“ – ich setze sie auch in Taten um und mache sie damit erlebbar und überprüfbar.
So bleibe ich gesund und verbunden. Und das ist der natürliche, der heile Zustand, der sich auch nach und nach in unserer Gesellschaft einfinden wird.
Kreislauf und Wirtschaft
Über all diese Erwägungen zum viel gepriesenen Wassermannzeitalter und was es unserer heutigen Gesellschaft wohl für Veränderungen bringen mag, ist der Morgen schon weit fortgeschritten. Die Gedanken und Bilder haben mich hinaus aus dem Kräutergarten hin zu dem riesenhaften Acker begleitet, den ich gerade hinzu erworben habe.
Planlos ! würde mein Vater schimpfen.
Mit Intention ! antworte ich ihm.
In der Tat, ich habe noch keinen griffigen „Plan“, wie ich diese großen Fläche, die über Jahrzehnte von konventioneller Landwirtschaft ausgelaugt wurde, in das blühende Paradies Aditis integrieren werde.
Mit weniger als einem Viertel der Fläche gelingt es mir – ohne Maschinen, Kredite und Ausbeutung – drei Haushalte zu ernähren und obendrein Produkte in die Welt zu bringen, die auf ihrem gesamten „Wertschöpfungsweg“ nur Heilung hinterlassen:
Natur gesundet. Die Menschen, die diese Kräuterschätze produzieren, gesunden. Und die Menschen, die oft zum ersten Mal in ihrem Leben eine unversehrte Pflanze ohne Zusätze, ohne Maschinengewalt oder elend lange Transportwege für sich nutzen, gesunden auch. Auf ganz vielen Ebenen !
Mein Betrieb braucht weder Wachstum noch Effizienzsteigerung. Es genügt, was da ist. Es ist sogar mehr als genug. Und ich würde mich unbändig über echte Nachahmung freuen – denn dann multipliziert sich mein Geschenk an die Welt.
(Die letzten drei Sätze mögen sich die professionellen Kaufleute unter Euch bitte einmal in Ruhe auf der Zunge zergehen lassen !)
Wozu also der Acker ?
Und wieso habe ich – die ich nie nach Besitz oder Reichtum strebte – so viel Geld, das auch noch zu kaufen ?
… nein, ich habe nicht geerbt. Im Gegenteil: Ich wurde von meinem Vater mit 14 vor die Tür gesetzt und mit 21 beim Tod meiner Mutter um meinen Erbteil betrogen.
… nein, ich habe auch nicht an der Börse spekuliert, keinen gut dotierten „Posten“ ergattert, an dem ich mich lange genug festgehalten habe, um ein kleines Vermögen anzuhäufen.
Es ist ganz simpel: Ich habe in den letzten 25 Jahren genauso gehandelt, wie jetzt auch: Ich stand ein für eine bestimmte Geisteshaltung, bin ihr nachgegangen, habe zum Teil unter (herrlich !) asketischen Bedingungen im Dschungel gelebt, geforscht und mein Leben in das gemeinschaftliche Lernen eingebracht. Das hat so viele Menschen inspiriert, daß sie diesen Weg auch gehen wollten. Also habe ich sie begleitet und dafür Geld verdient, für das ich ad hoc gar keine Verwendung hatte. Bis eben dieser Berg vor mir sich auftat und ich wußte: Hier will und soll ich sein und wirken.
Wer bis heute Probleme mit Geld hat oder glaubt, es brauche viel Kapital, um selbständig zu sein, hat das Prinzip der Fülle noch nicht verstanden. Fülle entsteht IN uns, aus der Liebe zu den Dingen und zum Leben, aus den Träumen, die wir aus uns selbst hervorbringen und mit gegebenen Mitteln verfolgen, aus dem Mut, einfach los zu gehen. Und nicht dadurch, daß uns irgendwer, der vermeintlich mehr hat, etwas abgibt.
Das bedeutet nicht, daß Geschenke anderer Menschen keine Rolle spielen. Ich bin unendlich beschenkt worden hier auf meinem Weg. Wenn ich nur daran denke, wie unzählige Freunde und Klienten (!) kamen, um bei der Renovierung des Hauses zu helfen ! Oder der Verkäufer, der mir ermöglichte, das „Stückchen Geld“, das am Anfang noch fehlte, einfach später zu bezahlen. Zinsfrei und ohne Sicherheit. Solche Geschenke macht das Leben und machen unsere Mitmenschen uns täglich !!! Und es ist so traurig, wenn wir das nicht sehen oder geringschätzen.
Und doch und auch: Das Losgehen, das Anpacken, das Entscheiden kommt aus der eigenen, inneren Fülle und ist bereit, mit dem, was da ist, zurecht zu kommen. Das ist der Anfang von Fülle – und auch von Selbstbestimmtheit.
Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortung bilden auch die Basis eines gesunden, eines nachhaltigen Wirtschaftens: Wer Kredite braucht, um anzufangen, sollte es lieber gleich lassen.
Zinsgeschäfte – also das Geldverdienen ohne Arbeit – sind der eigentliche Ursprung der massiven ökonomischen und damit auch ökologischen Schieflage in unserer heutigen Welt.
Der Garten lehrt uns, daß alle erforderlichen und integrierbaren Ressourcen bereits da sind. Daß die „Kunst“ des menschlichen Eingreifens darin besteht, diese Ressourcen sinnvoll anzuordnen und in einem natürlichen Fließgleichgewicht zu halten.
Das ist das Prinzip der Permakultur, auf der auch mein kleiner Betrieb, Wild Natural Spirit, basiert: Möglichst wenig, das nicht vom Platz stammt, wird herein gebracht (Saatgut, Pflanzennahrung, Verpackung, Brennstoffe etc.). Vielmehr ist der Grasschnitt auf der geschützten Wiese der Dünger für die Beete im Kräutergarten. Zusammengebrochene Bäume verbleiben zum Teil als Totholz im Wald – so ernähren sich die Bodenbewohner und sorgen für satte, nährstoffreiche Erde – und der Überschuss wird zu Benjeshecken aufgebaut dort, wo noch mehr Insekten und Destruenten eingeladen sind, den Boden zu verbessern.
Ein System, das in einem ausgewogenen Kreislauf fließt, ist stabil und bleibt gesund.
Das versuche ich auch den Menschen zu vermitteln, die eines der Pflanzendestillate für eine bestimmte Hautkrankheit oder ein definiertes anderes „Symptom“ suchen und bei mir um Rat fragen: Es geht niemals darum, Symptome zu bekämpfen – ob es nun überbordende Staatsapparate, mutierte Viren, eine hohe Arbeitslosigkeit, dysfunktionale Familiensysteme oder körperliche Störungen sind.
Vielmehr lehrt uns die Kreislaufwirtschaft, daß etwas im Gesamtsystem nicht natürlich fließen kann. Es gilt den Blick zu klären für solche „Systeme“ – System Gemeinschaft, System Körper, System Grundstück etc. – und zu erkennen, wo Energie sich zurückstaut – und an anderer Stelle fehlt. Und dann nicht einfach „irgend etwas“ dem System aufzuzwängen – oder ihm zu entreißen – sondern vielmehr die Qualitäten, die im System enthalten sind, zu erfassen und fühlend zu führen.
Die Fähigkeit, solche Gleichgewichte herzustellen – in uns selbst und in unserem Umfeld – ist kaum verträglich mit Eile, mit Angst, Gier oder fest gefahrenen Sichtweisen. Hier sind wir alle aufgefordert, das Empfangende, das Lauschende, das Wartende und das Hegende neu in uns zu entfalten.
2021 wird ein Jahr der Fließgleichgewichte werden. Für diejenigen unter uns, die den Mut haben, selbst Hand anzulegen und sich mit Freude ein Feld zu erschließen, in dem sie noch Anfänger sind.
2021 wird ein Jahr des Chaos werden, ein Jahr, in dem die Angst vor Kontrollverlust sich wandeln darf in die Bewunderung der Lebenskraft, die sich immer wieder neu emporhebt.
2021 wird ein Jahr der Eigenständigkeit werden, in dem viele Menschen zum ersten Mal entdecken, wie viele unterschiedliche Fähigkeiten sie haben, wie gut es tut, zu geben statt zu erwarten und Schöpfer des eigenen, gestaltbaren Lebenstraums zu sein.
All die notwendigen Veränderungen, die in intellektuellen und politischen Kreisen so heiß diskutiert werden, werden sich ganz natürlich als Folge dieser drei Faktoren ergeben.
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Wenn Du für das Acker-Projekt spenden möchtest, damit wir den Brunnen bauen können, dann geht das hier: