Heilkräuter im Winter

Vor mir auf dem Schreibtisch steht ein Sträußchen getrockneter Lavendel aus dem Sommer. Lieblich herb verströmt die träumerische Deva ihren Duft und nimmt mich mit in die blütenreichen Gärten Aditis. Und je dunkler die Tage werden, desto tiefer sauge ich diese herrliche Energie ein. Doch Woche für Woche lässt der Lavendelduft nach, zieht sich zurück in die Dunkelheit des Winters, nimmt den Sonnenrausch mit sich. Ich beginne, die trockenen Blüten zu räuchern. Das Feuer belebt die Deva noch ein letztes Mal, bläulicher Lavendelrauch steigt aus dem Räucherkelch empor und erfüllt den Raum mit Sommerträumen. Ein paar Tage bleibt sie, die sanfte, die verwirrend-betörende in den Zimmern – dann ist sie ganz verschwunden.
Wie kann ich mir die Kraft der Heilkräuter auch im Winter erschliessen ?

Die Suche nach dem Ganzen Kraut

Nun gut, es ist Winterzeit – vielleicht ist es nicht sinnvoll, den Sommer festzuhalten. Vielleicht führt mich das Wesen des Lavendel hinab in die Erde, in die Dunkelheit, in das Ausharren. Ich gehe hinaus über knietschnasse Wiesen, das goldene Laub am Boden wird dunkler, vermählt sich mit der Mutter Erde, löst sich auf. Dann stehe ich vor Aditis Lavendelfeld, die für den Winter beschnittenen und angehäufelten Stauden sind geziert von grünlich-weißen Flechten. Wenig ist spürbar von dem sanften Wogen dieses Zauberkrauts, die sonst so bizarr hinausgestreckten Zweiglein kauern sich um das Wurzelherz, nah an die vor Wind und Kälte schützende Erde. Ich stehe eine Weile, suche Kontakt zu der geliebten, fließenden Traumenergie des Lavendels – sie ist spürbar, doch zu weit weg, um sie wirklich in mich aufnehmen zu können.
Durchgefroren komme ich ins Haus, schüre den Ofen und nehme mir ein kostbares Päckchen Lavendeltee aus dem Schrank. Ich breche die langen, getrockneten Blütenstände, gebe sie in meine Lieblingstasse und überbrühe sie mit heißem Wasser. Herrlich, dieser Duft…
Genüsslich trinke ich das heiße Lavendelwasser, genieße das intensive Aroma meiner höchstselbst gesammelten Lavendelblüten. Und doch … es ist eben Tee. Lavendeltee. Lecker. Ja. Wohltuend ja. Superintensiv.
Doch das Wesen des Lavendel hat noch andere Aspekte, die ich schmerzlich vermisse…. Die Deva hat neben der intensiven, lavendeltypischen „Traumwolke“ noch etwas Frisches. Und sie ist auch nicht soooo durchdringend, wie sie über den Tee erscheint. Vielmehr ist dieses komplexe Wesen ein Ausdruck purer, frischer Weiblichkeit mit ihrer umhüllenden, fließende Art. Und genau hiernach dürstet mir in dieser engen, dunklen Zeit.

Und so ist es nun doch an der Zeit, mir das ätherische Hydrolat – Aditis größten Schatz an Kräuterlebendigkeit  – zu holen.

Der Ganze Bogen Kräuterkraft

Ich halte das kleine, braune Fläschchen Destillat in meinen Händen, spüre die pulsierende Lebendigkeit des Lavendels überdeutlich. Ein Sprüher auf die Zunge oder ins Trinkwasser – und Lavendel, wie er ist, wenn er sich der Sonne entgegenstreckt und im Sommerwind tanzt, ist jetzt hier. Mitten im Winter.

Und das genau ist der Grund, warum ich destilliere. Warum ich diese von Hand gezogenen und geernteten Heilkräuter auf offenem Feuer in Kupfer destilliere: Weil dies die einzige, mir bekannte Weise ist, den ganzen Bogen eines Heilkrauts, das ganze, lebendige Pflanzenwesen über die Zeit zu tragen. Unverändert. Pur.

Die Trocknung der Pflanzen ist auch ein traditioneller Weg der Haltbarmachung. Doch hierbei geht manches verloren, das durch die Destillation bewahrt werden kann. Auszüge – ob in Öl, Wasser oder Alkohol – deformieren das Pflanzenwesen auf die eine oder andere Art – auch wenn manche der Aromen und Inhaltstoffe erhalten bleiben. Und das Verräuchern wiederum transformiert die ganze Pflanze – bringt die vorausgegangene Trocknung über den Kipppunkt hinaus in eine ganz andere, neue Qualität.

Wenn Du dem Wesen der Heilpflanze im Winter begegnen möchtest, zu einer Zeit, in der die Pflanzenwesen sich aus der physischen Welt zurückgezogen haben, dann sind die Reindestillate die beste Form. Sie sind die Essenz heimischer Heilkräuter. Es ist, als seien sie durch die Transzendenz zwischen Feuer und Wasser der Zeit, dem Werden und Vergehen enthoben, allgegenwärtig.

Sie tragen Aromen  und Schwingungen unverändert aus dem Moment ihrer Ernte weiter und bringen uns auch ihre Heilkräfte so pur, wie an dem Sonnentag, an dem wir sie geerntet und in unseren Körben zur Destille getragen haben.

Was für ein Segen !

 (zu den energetischen Aspekten der Pflanzenverarbeitung habe ich übrigens einen eigenen Beitrag geschrieben; hier nehme ich auch Bezug auf die Wandlungsphasen, die ich durch die Art der Aufbereitung einbringen oder verstärken kann).

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