Von der Existenzangst zur Selbstversorgung – eine Einladung

Ein Interview mit Bobby Langer @ökoligenta
Das Interview kannst Du auch direkt auf Ökoligenta lesen
Selbstversorgung – davon träumen viele, schrecken dann letzten Endes doch meistens davor zurück. Evelin Rosenfeld hat sich sehr konkret damit auseinandergesetzt. Der Name des ausgedehnten Landes, auf dem sie ihren Weg der Kreislaufwirtschaft praktiziert bezieht sich auf Aditi, die vedische Schöpfungsgöttin. Um bei so einem Projekt vorwärtszukommen und nicht einzuknicken, braucht es „Wild Natural Spirit“ (so heißt die Kräutermanufaktur, mit der Evelin das Projekt finanziert)***. „Spirit“ hat die Pionierin, dennoch meint sie, dass einerseits die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Mitteleuropa echte Autarkie verhindern, andererseits, dass die Idee von Autarkie dem Gedanken der Verbundenheit widerspricht.
Ökoligenta: Vielleicht schilderst du erst einmal, wie weit du mit deinem Projekt gekommen bist.
Evelin: Nun, das Wichtigste ist wohl, dass ich es geschafft habe, 55.000 Quadratmeter Brach- und Ackerland in einen riesigen Permakulturgarten zu verwandeln, in dem nicht nur seltene Arten aus Fauna und Flora in Fülle leben, sondern der auch wertvolle Lebensmittel für viel mehr Menschen hervorbringt, als derzeit von dem Projekt wissen. Damit ist es gelungen, eine Vollerwerbs-Landwirtschaft untrennbar mit Naturschutz zu verbinden. Auch zeige ich ein Wirtschaften auf, das eben nicht ausbeutet und Lateralschäden vergesellschaftet, sondern im Gegenteil: ein Wirtschaften, das maßgeblich und nachhaltig zum Gemeinwohl beiträgt, während es gleichzeitig einen Lebensunterhalt eigenständig erwirtschaftet.
Zudem konnte ich das Projekt (einigermaßen) harmonisch in das herrschende Behördensystem integrieren. Mit insgesamt 11 Aufsichtsbehörden ist das eine echte Nervensache und Geduldsfrage. Auch die Beteiligten in den Behörden mussten an einigen Stellen das auf landwirtschaftliche Großbetriebe ausgelegte Regelwerk irgendwie in Einklang bringen mit dem, was ich hier mache. Wirklich erkennen, welche Chancen in diesem Projekt für die drängenden Fragen für uns alle liegen, tun aber wenige.
Ökoligenta: Momentan schaffst du das alles mit 1 Woman-Power, eigentlich unglaublich. Aus welchen Quellen sprudelt deine Energie?
Evelin: Ich bin mit 33 Jahren, zwei akademischen Abschlüssen und einer bereits beachtlichen Karriere in der Wirtschaft „ausgestiegen“, weil ich die Rücksichtslosigkeit und Kurzsichtigkeit, die in Konzernen und auf Verwaltungsebene herrschen, nicht ertragen konnte. Dieser Ausstieg brachte mich in eine Lebenskrise, in der ich mich fragte, wie ich mein Leben, meine Gaben so einbringen kann, dass nicht nur noch mehr Schaden entsteht, sondern dass vor allem das Gefüge aus Angst und Gier durchbrochen werden kann; dass Wege sichtbar werden, wie wir in Frieden und in Fülle mit unserer Mitwelt leben können. Dazu braucht es ein tiefes Hinterfragen der Grundannahmen unserer Gesellschaft: von Familiengründung bis abhängiger Erwerbsarbeit, von Ressourcenkreisläufen bis hin zu spirituellen Zusammenhängen. All dem habe ich mich gestellt und Schritt für Schritt Antworten und Resonanz gefunden.
Mein unerschütterlicher Glaube an die Liebe in jedem Menschen und an eine göttliche Führung sind der Quell meiner Kraft – zudem meine besondere Beziehung zu diesem außergewöhnlich kraftvollen Ort hier.
Ökoligenta: In den Städten mieten sich Menschen bei SoLaWis am Stadtrand ein. Könnte dieses Modell auch für Aditi funktionieen ?
Evelin: Nein, eher nicht. Die SoLaWis – für die es mittlerweile sogar eigene landwirtschaftliche und steuerrechtliche Regeln gibt, funktionieren normalerweise so, dass ein Landwirt die Flächen mit Maschinen vorbereitet und kleine Parzellen an Städter vermietet, die dann ihren Salat oder Rosenkohl oder was sie eben wollen, am Wochenende anbauen. Aditi in Parzellen aufzuteilen widerspricht meinem Anliegen, sie als Ganzheit zu fördern. Zudem nutze ich ja keine Maschinen und arbeite in Permakultur. Wenn, dann würde sich eine Gruppe von Menschen um die ganze Aditi kümmern, mit ihrem Wald, ihrem Beeren- und Saatgutgarten, mit den Kräutergärten, Obstbäumen und dem großen Gemüsegarten. Die Intention von Aditi geht über das „ich mach mein eigenes Gemüse“ hinaus.
Ökoligenta: Gibt es diese Gruppe schon? Wie können Menschen sich in das Projekt einbringen?
Evelin: In 2022 waren wir ein starkes Team von sechs Menschen, die sich regelmäßig und aus verschiedenen Konstellationen auf Aditi eingebracht haben. Das Ergebnis war phänomenal: Für die überbordende Gemüseernte brauchten wir sogar einen Erdkeller über den Winter, das in 2022 geerntete Saatgut hat auch in diesem Jahr, 2025, gereicht, um ohne Zukäufe die Gärten zu bestücken. Das waren alles Leute hier aus der Gegend, die einfach Freude daran hatten, auf Aditi zu sein, zusammen zu arbeiten und die Abende gemeinsam am Feuer zu verbringen.
Einige waren bei mir „zwischengelandet“ wegen der Corona-Restriktionen und sind nun zurückgekehrt in ihre Ursprungsberufe. Aber so könnte es gehen.
Zudem habe ich immer mal wieder Lehrlinge für eine begrenzte Zeit, die sich mit der Anbau- und Lebensweise vertraut machen wollen.
Doch mittelfristig wünsche ich mir schon zwei bis vier Menschen, die hier oder in der Nähe wohnen und sich dauerhaft und hauptberuflich in das Projekt einbringen.
Dazu braucht es nicht nur etwas Kapital, sondern vor allem die Bereitschaft, eine körperlich doch recht anspruchsvolle Arbeit zu machen für ein sehr überschaubares Einkommen. Doch der „Lohn“ besteht ja letztlich darin, vollkommen selbstbestimmt inmitten überbordender Natur zu sein, Lebensmittel von höchster Qualität für sich und andere zu gewinnen und seine Lebensenergie in etwas fließen zu lassen, das Lebendigkeit schafft.
Die Zeit ist gut, denn mehr und mehr Menschen merken auf: Statt ein Online-Coaching, um eine Depression, eine Lebenskrise, einen Burn-Out zu „besprechen“, beginnen sie, neu Kontakt mit den wirklich heilenden Kräften der Natur aufzunehmen, lauschen den Bäumen, beobachten die Insekten. Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt, die Hacke in die Hand zu nehmen und nährende oder heilsame Pflanzen zu pflanzen, zu pflegen … und sich dabei ganz von allein mit kostbarer Lebensenergie aufzuladen.
Ich lade jedes Jahr zur Blütenernte ein. Das ist eine kleine Chance zu erleben, wovon ich hier spreche.
Ökoligenta: Was ist deiner Erfahrung nach das Haupthindernis für die Umsetzung einer echten Selbstversorgung?
Evelin: Zuerst: Aufgrund der zahlreichen Systemzwänge – von Pflicht-Versicherungen bis Strom, Wasser, Müllentsorgung, von denen wir uns in Deutschland nicht abmelden können, ist es derzeit gar nicht möglich, wirklich autark zu leben und zu wirtschaften. Wir sind nicht nur gezwungen, System-Leistungen zu kaufen (und damit Geld beschaffen zu müssen) – Autarkie widerspricht auch der Einsicht, dass alles mit allem verbunden ist. Dieser Gedanke – der Gedanke von dynamischen Kreisläufen durch alle Ebenen des Erdenlebens hindurch – ist die Basis der Permakultur. Und er ist auch Tatsache in allen natürlichen Vorgängen.
Von daher bescheide ich mich auf den Anspruch, meinen Lebensunterhalt mit etwas zu verdienen, das meiner Liebe zur Erde Ausdruck verleiht und den aus meiner Sicht schädlichen Systemwirkungen nicht weiter zuträgt. Dass dabei durch eine einzelne Person 55.000 Quadratmeter Land renaturiert wurden, dass eine Fülle an Heilkräutern, Saatgut und Lebensmitteln bereitgestellt wurde für viele, viele andere Menschen, das macht mich glücklich und stolz.
Ich bin weit entfernt davon, mich „selbstzuversorgen“ – allerdings brauche ich keine moderne Medizin, habe Zugriff auf unbelastetes Gemüse, Obst und Kräuter, lebe in meinem eigenen natürlichen Rhythmus und brauche vergleichsweise wenig Geld – da ich nichts zu kompensieren habe. Ich bin satt und gesund aus dem, was mein täglich Werk ist.
Wenn ich nun auch einige andere Menschen begeistern kann von dieser Arbeit und vielleicht begleite zu ihren eigenen Projekten oder sie integriere in dieses Projekt hier bei mir – und da gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Aufgaben und Ausblicke – dann wirke ich MIT dem bestehenden System, dessen Teil ich ja auch bin.
Ökoligenta: Die Konsumwelt, in der wir aufwachsen und unsere Persönlichkeit ausbilden, ist vielfältig und spricht uns auf den verschiedensten Ebenen an. In den Worten von Günther Anders wird der Mensch schlaraffisiert und zu einem passiven Wesen modelliert. Dein Projekt erwartet ja eher eine Emanzipation von dieser Grundhaltung.
Evelin: Ja, das ist mein Herzensanliegen an die Menschheit: „Dienst“, „Arbeit“, „Verantwortung“ sind bei vielen Menschen sehr negativ belegt. Weil sie immer in Abhängigkeiten denken, weil sie Arbeit als etwas sehen, was sie ZWANGsläufig tun müssen, weil sie Dienst als Unterwerfung kennen und weil sie „Verantwortung“ mit „Strafe/Konsequenzen“ verbinden.
Damit sind sie zu passiven Sklaven des Ausbeutungssystems geworden und verschanzen sich hinter Ansprüchen, Bequemlichkeit und Konsum.
Es ist so viel lebendiger und befriedigender – und möglich ! –, aus eigener Kraft ein eigenes Feld zu schaffen, in dem wir unsere Lebensenergie freiwillig in etwas geben, das uns am Herzen liegt. Und wem liegt die Natur nicht am Herzen? Welcher Mensch atmet nicht auf, wenn er unter Bäumen steht, welcher Mensch beginnt nicht zu singen, wenn er frische Beeren erntet und gleich in den Mund steckt? Viele kommen gar nicht bis zu dem Erlebnis, ein im eigenen Schweiß bebautes Feld zu betrachten und dabei Stolz und Freude zu empfinden. Und so können sie auch nicht die Früchte ihrer eigenen Arbeit, ihrer freien Entscheidung ernten.
Um diesen Schritt in die Freiheit und in ein sinnstiftendes Leben zu tun, steht noch vor der harten körperlichen Arbeit vor der wirtschaftlichen Ungewissheit ein Schritt im Inneren an: Die Angst, zu wenig abzubekommen, die sich in Gier und Egoismus ausdrückt, muss überwunden werden zugunsten der Einsicht, dass Fülle aus Großzügigkeit und Begeisterung entstehen. Wer (sich) gibt, bekommt alles, was es braucht, um ein friedvolles und lebendiges Leben zu führen.
Doch wie viele Menschen leben das schon ?
Ich bin offen für eine Gruppe von Menschen, die sich gemeinschaftlich um Aditi kümmert und an ihr erfreut. Das wäre eine Erweiterung für alle Beteiligten. Mehr Hände – mehr Ernte – mehr Austausch – mehr Fülle.
Aber brauchen tun wir’s nicht …
Ökoligenta: Du hast angedeutet, mit den Potenzialen von Aditi könnte es in Richtung Binnenwirtschaft weitergehen. Kannst du uns dazu Näheres erzählen?
Evelin: Es gibt einen Weg, den ich sehe, auf dem eine Gruppe von Menschen, die auf Aditi lebt, sich sehr, sehr weit lösen kann aus den Systemzwängen. Hier gibt es Antworten auf die klassischen Fragen von Gemeinschaftsleben, Arbeitsteilung, die Rolle von Kapital und die führende Kraft einer täglich praktizierten Spiritualität.
Ich schöpfe hier aus 25 Jahren Organisationsberatung und Coaching (siehe insbesondere meine beiden Bücher „Wertebasiertes Management“ und „Was Dir wirklich wichtig ist“) – vor allem aber aus der Beobachtung der Vorgänge in der Natur, der Erfahrungen mit dynamischen Gleichgewichten in der Ökologie.
Wenn die passenden Menschen hier angekommen sind, können wir darüber sprechen.
Für jetzt lade ich jeden, der das liest, herzlich ein, mal für eine Blütenernte oder eines der anderen Seminare nach Aditi zu kommen und sinnlich zu erfahren, wovon ich hier spreche. Eigentlich können wir dann erst sehen, ob eine Resonanz da ist, die das Sein berührt und zum Tun führt.