Ayurveda und die Brücke zur TCM
Mein Wissensdurst will nicht versiegen – und so habe ich mich auf nach Indien gemacht, um die Wirkweise und die verwendeten Pflanzen im Ayurveda am eigenen Leib zu erfahren.
Wenn man sich einmal abgewendet hat von einer symptomgebundenen, mechanistischen Betrachtung der Gesundheitspflege und Heilsein als einen Akt der Wahrnehmung von Fließgleichgewichten versteht, beginnt eine Reise mitten in das Geheimnis des Lebens hinein.
Und da in den traditionellen Formen der Gesundheitspflege keine feststehenden Krankheiten – und somit auch keine standardisierten Heilwege – definiert sind, ist der jeweilige Weg absolut individuell und von daher selbstverantwortet. Wer in Balance und angefüllt mit Lebenskraft – oder Prana oder Qi – sein will, ist aufgefordert, die Wahrnehmung zu schärfen, unterscheiden zu lernen zwischen ganz grundlegenden kosmischen Qualitäten.
Wandlungsphasen, Doshas oder die Qualität von Energie
In meinen früheren Beiträgen zur TCM habe ich ja schon viel über die Fünf Wandlungsphasen und ihre Bedeutung für die korrekte Einschätzung von individuellen Verfasstheiten ebenso wie von geeigneten pflanzlichen Begleitern berichtet.
Da Boddhisatva von Indien nach China – und darüber hinaus- reiste und die Lehren des Atharnaveda mit seinen Heilweisen mitbrachte, sind die Fünf Wandlungsphasen, die wir aus der TCM kennen ein Parallelsystem zu den drei vedischen Doshas Pitta, Vata und Kapha.
Diese drei vedischen Kategorien sind nicht so klar differenziert wie die Fünf Wandlungsphasen, da sie bereits bestimmte Wechselwirkungen der ebenfalls in den Rig Veden erwähnten Fünf Elemente – Äther, Feuer, Erde, Luft und Wasser – enthalten.
Die Doshas (ursprünglich „Fehler“) beschreiben Vata als das Bewegungsprinzip – gemacht aus Äther und Luft und zuständig vor allem für Nervensystem, Atmung und Bewegungsabläufe. Dem Anahata Chakra (Kraftzentrum auf Herzhöhe) verbunden erschließt es uns Tastsinn und Gehör, Kreativität und Kommunikationsfreude. Vata entspricht dem Holzelement in der TCM, angereichert mit dem Ätheranteil der Metallphase: Raum, aufsteigende Bewegung, Ausdehnung aber auch Rhythmus und Durchdringung.
Pitta ist die Dosha, die aus wenig Wasser und Feuer gemacht ist. Als zweites Prinzip in der vedischen Medizin ist sie mit dem Energie- und Wärmehaushalt und dem gesamten Stoffwechsel verbunden.
Dies erscheint zunächst als Widerspruch zu den Zuordnungen der TCM – denn hier ist die Verdauung nur am Rande dem Feuer, vor allem aber Erde und Metall zugeordnet. Da „Verdauen“ hier wahrscheinlich ein moderner Begriff für das ursprünglich gemeinte „Verbrennen“ ist findet sich die Brücke zur TCM und den Eigenschaften von Feuer und Wasser. Intelligenz, Sehkraft und Willensstärke – allesamt Attribute des Manipura Chakra (auf Höhe des Sonnengeflechts) sind Merkmale einer ausgewogenen Pitta Dosha.
Kapha zuletzt ist die strukturbildende Dosha – ganz eindeutig der Erde zugeordnet, zu meiner Verwunderung aber auch dem Wasser (und Kapha enthalte mehr Wasser als Pitta, sagte mein Vahir). Mit Blick auf Stabilität und Festigkeit, für die Kapha im Körper verantwortlich ist, erschließt sich das Wasserelement im Kapha darin, daß auch der Flüssigkeitshaushalt in das Regime dieser Dosha fällt: Eine Spannung, die durch die gleichmäßige Verteilung von Wasser im Körper aufrecht erhalten wird ist freilich auch ein wichtiger Aspekt von Struktur und Stabilität…
Es fällt auf, daß die vedischen Doshas Kombinationen der Elemente in der TCM sind, die sich wechselseitig kontrollieren (also sich im Ko-Zyklus finden: Holz/Metall, Feuer/Wasser, Wasser/Erde).
Und auch hier wird wieder deutlich, daß die lebensnahen, tradierten Heilformen besonderes Augenmerk auf „Zusammensetzungen“ und die ihnen innewohnende Dynamik legen – weniger, als auf einzelne, scharf voneinander abgegrenzte Eigenschaften.
Im authentischen Ayurveda wird nur über Pita und Vata gearbeitet (also aktiv interveniert). Kapha ergibt sich daraus automatisch aus der geordneten Bewegung und der balancierten Verbrennung.
Die Reinigung des Körpers
Mit den reinen Pflanzenspirits bewegen wir uns auf einer feinstofflichen Ebene. Es geht um eine geistig-seelische Interaktion zwischen Mensch und Pflanze – die enthaltenen Wirkstoffe und ihre unmittelbar körperlichen Wirkspektren sind nachgeordnet. Der Ausgleichungsprozess bewegt sich aus dem Feinstofflichen ins Stofflichen.
Die Akkupunktur in der TCM und auch ihre Pflanzenmedizin hat eine ähnliche Wirkrichtung, wenngleich hier bereits der Körper im Fokus steht.
Wenn wir uns jedoch in den Ayurveda begeben, ist die entscheidende Ebene der Körper. Die stoffliche Wirkung der Pflanzen und die chrakteristischen Behandlungsformen, wirken vom Körperlichen aus auf die feinstoffliche Ebene.
Das Entgiften und Ausleiten spielt beim Panchakarma (Reinigungsprocedur des Ayurveda) eine ganz zentrale Rolle – das ist in der TCM kein so zwangsläufiger und zentraler Vorgang. Hierzu habe ich mir einige Gedanken gemacht:
Was meint „Ausleiten“?
Was soll physiologisch erreicht werden?
Welche energetischen Effekte sind damit verbunden ?
Gibt es unter unseren heimischen Heilkräutern Pflanzen, die in diese Richtung wirken ?
Beim Panchakarma werden fünf Ebenen (Carma) unterschieden, auf denen eine bestimmte Form der Reinigung eingesetzt wird:
- das durch Kräuter und Öle ausgelöste Erbrechen (Vaman – wichtig bei Kapha-Ungleichgewichten), zur Reinigung der oberen Körperhöhlen
- die durch Kräuter und Öle ausgelöste Darmentleerung, der intensive Hitze- und Druckbehandlungen vorausgehen (Virechan – bei Pitta-Ungleichgewichten)
- die Darmspülung mit Kräuter- und mineralischen Zubereitungen (Basti – bei Vata-Themen),
- die Reinigung der Nasenschleimhäute, Nebenhöhlen und vorderen Atemwege durch ölige Kräuterzubereitungen (Nasil),
- Blutreinigung mittels Blutegeln und gezielten Schnitten (Raktamokshan – besonders bei Hautinfektionen)
All diese Vorgänge zielen darauf ab, angereicherte Toxine und Nahrungsrückstände aus den jeweiligen Körperbereichen auszuleiten. Das Herauslösung, Sammeln und Ausscheiden der Schadstoffe ist also das, was mit „Ausleiten“ gemeint ist.
Die Gifte wecken
Zum Lösen kennen wir aus der Natur Feuer und Wasser: „Erhitzen“ und „Waschen“ sind die natürlichen Wege, der Reinigung.
In der TCM ist man mit Hitze sehr vorsichtig – doch auch hier werden Pflanzen mit einem hohen Anteil an Bitterstoffen (dem Feuerelement zugehörig) eingesetzt, um Lunge, Darm und Leber zur Ausscheidung zu bringen. Die Zubereitungen sind in der Regel Auskochungen – begleitet von Impulsen durch Körperarbeit oder Akkupunktur.
Im Ayurveda spielen dagegen Hitze und Öl eine große Rolle, die innerlich und äußerlich gerade in der ersten Phase stark zum Einsatz kommen.
Die in Öl, Tränken und Einläufen verwendeten Pflanzen sind immer stark zerkleinerte Mischungen, die individuell auf den Empfangenden abgestimmt werden. Hier finden sich viele Ingwergewächse und Fabiaceen, das wohlbekannte Tulsi (Basilikum) und eine große Zahl von Bäumen, etwa Neem oder Boswelia. Generell werden alle Pflanzenteile verwendet – je nach Empfänger mal nur die Blätter, mal nur die Wurzel, manchmal auch die ganze Pflanze.
Es ist unmöglich, detailliert auf all die im Panchakarma verwendeten Pflanzen einzugehen. Die Pflanzen, die ich hier im Heilgarten und auch im „Lager“ meiner Vahiri (Ärzte) gesehen haben, sind größtenteils ätherische Pflanzen mit einem hohen Anteil an Alkaloiden (und die sind eben oft „bitter“) und Phenolen – stark aktivierende Stoffe also..
Die erste Phase eines authentischen Panchakarma (das Reinigungs- und Ausleitungsprocedere des Ayurveda) dient der Lösung von Giften – körperlichen wie geistigen – aus dem Gewebe. Einige sehr kräftige Massagen, viele Tage hintereinander die anderthalbstündige „Beklopfung“ des Körpers mit Kräuterstempeln, das Bedampfen von Gesicht und Körper mit dem Äther individuell zusammengestellter Kräuter sowie die Reinigung der Nasen- und Stirnnebenhöhlen mit einem sehr scharf gewürzten Öl sind die mechanischen Praktiken, die ich hier erfahren darf.
Hinzu kommt eine pikante Kalorienbombe am Abend: Die „aufgetriebenen Gifte“, die durch die Behandlungen im Körper beginnen zu zirkulieren, werden mit einer ganzen Tasse heißem, gewürzten Ghee (ausgelassener Butter, die vom Milcheiweiß befreit wurde) vor dem Schlafengehen „eingefangen“ und dem Darm zugeführt.
Natürlich habe ich immer mitbekommen, wenn mein Vahir (ayurvedischer Arzt) die Samen, Mineralien und Kräuter aus dem Lager seiner Kostbarkeiten geholt und gemischt hat. Die Kräuter und Samen, die in dieser Phase zum Einsatz kommen, haben alle den Charakter von Holz- oder Metallpflanzen. Entweder sie haben eine ätherisch hohe Note oder sie beißen sich mit einer metallischen Schärfe tief durch die Gewebe und treffen punktgenau die Verstecke der gesuchten Gifte.
Nach sieben Tagen solcherlei Behandlung beginnt dann das Ausleiten mit einer enormen Zufuhr von Wasser. Ob hierfür Pflanzen eingesetzt werden, die Vaman erzeugen oder eher Virachan hängt davon ab, wo im Körper die Gifte sich gesammelt haben.
Pflanzen als zentrale Helfer
Noch bin ich am Anfang meiner kleinen Panchakarma-Reise. Und nach den wenigen Tagen bisher habe ich es schon aufgegeben, einen umfassenden Überblick über die eingesetzten Pflanzen zu gewinnen. Die aus unserer einheimischen Pflanzenheilkunde bekannten Heilkräuter, um „Einzuheizen“ und „Auszuleiten“ sind Thymian und Wermut – als Impulsgeber, sozusagen. Das „Wasser“, das die aktivierten Giftstoffe aus dem Gewebe löst, zusammenführt und aus dem Körper herausleitet, finden wir in Pflanzen wie Schafgarbe, Lavendel oder Baldrian.
In der TCM, wie ich sie verstehe, wird weniger „körperlich“ gearbeitet als im Ayurveda und der Prozess würde mehr der Resonanz der Pflanzen überlassen werden. In der ursprünglichen TCM war dies tatsächlich auch genau 1 Pflanze, die genau an der Stelle ansetzt, die das Rad des Energieflusses wieder anstößt, ohne neuen Mangel oder Überschuß zu erzeugen. Erst viele hundert Jahre nach dem Gelben Kaiser Huangdi begann man in der chinesischen Medizin von diesem klaren Prinzip der 1-Pflanzen-Medizin abzuweichen und Mischungen zu entwickeln.
Das Verständnis vom „Heilen“ fußt in allen Kulturen in die Kontaktaufnahme zu den feinstofflichen Ebenen, die auf die physische Ebene wirken, im Sinne von „Geist erschafft Körper“. Schritt für Schritt begannen die Menschen – im Orient wie im Occident – den menschlichen Körper als mehr oder weniger autonomes System zu betrachten und setzten mit ihrer Medizin an der stofflichen Ebene und ihren Erkenntnissen zur menschlichen Anatomie an. In einem weiteren Entwicklungsschritt wurde dann die (Rück)wirkung des Körpers auf den Geist erkannt und bewusst genutzt.
Gemeinsam haben die beiden Ansätze die große Bedeutung einer (vorwiegend) pflanzlichen Ernährung, die in jeder Mahlzeit die Fünf Elemente enthält und grundsätzlich gekocht ist. Rohkost ist bestenfalls eine kleine Beigabe. Doch die verwendeten Gewürze – in der einen wie in der anderen Lehre – sind der „verlängerte Arm“ der ganzheitlichen Gesundheitslehre. Die Gewürze werden den Medizinpflanzen der Behandlungen in nichts nachgestellt.
Soweit mein kleiner Einblick in mein aktuelles Forschungsfeld. Ich werde Informationen zu dem verwendeten Pflanzen sammeln und sie mit den Pflanzen, die ich auf Aditi anbaue ins Verhältnis setzen. Nun gebe ich mich meinem Reinigungsprozess wieder ganz hin und hoffe, Dich ein wenig inspiriert zu haben.